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MMM-Fachtagung
Handel punktet mit Nähe und Emotion
„Es ist ein schönes Gefühl, dass wir heute alle hier sein können“, begrüßte GEWINN-Herausgeber Georg Wailand und Präsident des MMM-Clubs Österreich die Gäste anlässlich der jüngsten MMM-Fachtagung. Nach zuletzt Coronavirus-bedingter Online-Präsenz konnte die qualitativ hochwertige Veranstaltung über die neuesten Trends im Handel wieder live vor Ort – diesmal im Arcotel Wimberger im siebenten Wiener Gemeindebezirk – stattfinden. Die anwesenden Gäste durften sich auf neun spannende Vorträge hochkarätiger Handelsexperten freuen und nutzten die Gelegenheit darüber hinaus für gute Gespräche in angenehmer Atmosphäre.
Finanzminister zum Status quo
Den Anfang des Expertenreigens machte Finanzminister Magnus Brunner, der, per Video zugeschaltet, betonte: „Wir befinden uns seit nunmehr zwei Jahren in einem Ausnahmezustand, hervorgerufen durch die Corona-Pandemie und verschärft durch den bereits Monate andauernden Ukraine-Krieg.“ Alleine der Kampf gegen Corona schlug für Österreich bis dato mit Kosten in Höhe von 44 Milliarden Euro zu Buche, rechnete Brunner vor. Zum Krieg in der Ukraine machte der Finanzminister klar: „Präsident Putin hat mit seinem Angriff eine rote Linie überschritten, die uns wirtschafts- und finanzpolitisch zum Handeln zwingt.“ Die getroffenen Sanktionen gegen Russland seien beispiellos, ein Gas-Embargo sehe man aber weiterhin skeptisch, weil es der Wirtschaft sowie den Menschen im Land erheblich schaden würde. So wie auch die aktuell herrschende Rekordinflation, die noch länger andauern werde und zum Schutz von Kaufkraft und Wohlstand wirkungsvolle Gegenmaßnahmen erfordere. „Wir haben bereits zwei Pakete mit einem Gesamtvolumen von vier Milliarden Euro geschnürt“, betonte der Finanzminister und kündigte noch weitere Maßnahmen wie etwa die Abschaffung der kalten Progression an, die ja nun laut kürzlich bekanntgegebenem Antiteuerungspaket wirklich fix sein soll. Nichtsdestotrotz stelle die aktuelle Situation die Bundesregierung vor große Herausforderungen. „Die derzeitigen Entwicklungen betreffen uns alle“, so Brunner. Er mahnte ein, Diskussionen gegen ein Miteinander zu ersetzen und mit kühlem Kopf zu agieren.
Fairtrade-Lebensmittel stärker gefragt
Einen kühlen Kopf zu bewahren, riet auch Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich, mit Blick auf die Diskussion über die hohen Lebensmittelpreise. „Die monatlichen Haushaltsausgaben für Lebensmittel liegen im Durchschnitt bei elf Prozent und sind im Gegenzug zu den Kosten für Energie nicht der Inflationstreiber.“ Man müsse darauf achten, dass der Wert von Lebensmitteln, der sich im Zuge der Corona-Pandemie endlich erhöht hätte, durch eine falsch geführte Diskussion nicht wieder vernichtet werde. Er merkte weiters an, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in Österreich hoch sei und sich dieses auch im Umsatz (2021: 485 Millionen Euro, +24 Prozent) mit Fairtrade-zertifizierten Produkten widerspiegle. Emotionen im Publikum rief Kirner mit seinen Ausführungen zum geplanten EU-Lieferkettengesetz hervor. Dieses sieht vor, dass Unternehmen dafür haftbar gemacht werden können, wenn sie entlang ihrer Lieferkette gegen Menschenrechte und Umweltschutz verstoßen. Er betonte: „Das Gesetz verpflichtet Unternehmen nur zur Bemühung, nicht zum Erfolg. Es schärft das Bewusstsein bei relativ geringen Kosten von maximal 0,07 Prozent der Gewinne.“ Die WKO, die bei der Tagung durch Iris Thalbauer (Geschäftsführerin der Bundessparte Handel) und Rainer Trefelik (Obmann der Bundessparte Handel) vertreten war, stimmte der Wichtigkeit, Menschenrechte und Umwelt zu schützen zu, sieht jedoch ein Bürokratiemonster auf die heimischen Unternehmen, insbesondere KMU, zukommen. Dem aktuellen Entwurf müsse deshalb eine klare Absage erteilt werden.
Intersport sieht Zukunft in Hybridisierung
Emotionen spielten auch beim Vortrag von Thorsten Schmitz, CEO von Intersport Austria, eine wichtige Rolle. Er referierte zum Thema „Hybridisierung als Erfolgskonzept im stationären Einzelhandel“. Seinen Ausführungen zufolge führe in Zukunft kein Weg daran vorbei, den Konsum von Emotionen in allen verfügbaren Kanälen – sprich: im stationären Geschäft, im Online-Shop oder auch bei gar nicht unmittelbar mit einem Kauf in Zusammenhang stehenden Events – so einfach wie möglich zu gestalten. „Vergesst den Kanal, denkt an den Kunden und bietet überall den gleichen Service in gleich hoher Qualität“, lautete sein Credo. Intersport setzt deshalb nicht nur auf den Verkauf von Sportartikeln wie etwa Fahrrädern und vielem mehr, sondern forciert seine Beratungskompetenz durch erfahrene Mitarbeiter, die selbst begeisterte Sportler sind, veranstaltet Events, um die Markenbindung zu stärken, engagiert glaubwürdige Testimonials und nutzt Online-Content zur Steigerung der Frequenz in seinen Geschäften. Deshalb spreche man im Unternehmen beispielsweise auch nicht lapidar von der Fahrradabteilung, sondern vom „Home of Bike“. Die Zukunft des Handels liege Schmitz zufolge in Omnichannel-Konzepten, die genau diese Punkte aufgreifen. Und er machte auch deutlich, dass Beratung und Service im Shop – und damit der persönliche Kontakt – ein großes Asset sind und auch weiterhin hohe Relevanz haben werden.
JKU: Keine Online-Revolution
Das sehen auch die beiden Handelsforscher der JKU Linz Christoph Teller und Ernst Gittenberger so: „Die Online-Revolution bleibt aus, denn der Anteil der Online-Shopper reduziert sich.“ Konkret ging deren Anzahl 2021 von 4,4 Millionen auf 4,2 Millionen zurück. Das liege aber nicht an den schlechten Erfahrungen beim Online-Einkauf, sondern an den Vorteilen der stationären Geschäfte. Hier nennen die beiden Handelsexperten die Einfachheit, an Informationen zu kommen, um die Kaufentscheidung zu treffen, den hervorragenden Kundenservice oder die Möglichkeit, Produkte auch angreifen zu können. Die Covid-19-Krise habe das Einkaufsverhalten stark verändert. „Nähe gewinnt nachhaltig an Bedeutung“, so Teller und Gittenberger, die ihre Aussage mit einer Zahl untermauern: „47 Prozent der Österreicher haben den Einkauf in Geschäften vermisst.“ Das bedeute, dass sich der Distanzhandel neu erfinden müsse, um erfolgreich zu bleiben. Denn neben Convenience und niedrigem Preis ginge es immer mehr darum, die Herzen der Konsumenten zu erobern. Stichwort Emotion. Teller und Gittenberger: „Nähe ist jetzt das Herzass des Handels – offline und online.“
Rewe International beobachtet Trends
Beratung, Service und der persönliche Kontakt sind insbesondere im Lebensmittelhandel wichtige Eckpfeiler, weiß Markus Kuntke, bei Rewe International für Trends und Innovationen verantwortlich. Er nahm das Publikum mit auf eine Reise zu den Anfängen von Billa, als Firmengründer Karl Wlaschek damals mit dem Selbstbedienungskonzept eine Revolution im Handel einleitete. Und auch heute noch haben Innovationen bei Österreichs Nummer zwei einen hohen Stellenwert – individualisierte Sortimente und digitale Preisauszeichnung sind nur zwei Beispiele, die Kuntke nannte. Aktuell stünden die sich veränderten Kundenbedürfnisse, Nachhaltigkeit und die Weiterentwicklung des Online-Shops auf der Agenda. Auch Einkaufen ohne Personal und damit einhergehend Technologien wie Scan & Go seien Konzepte, die man sich derzeit näher ansehe. Wichtig in diesem Zusammenhang: „Wir wollen nicht auf Mitarbeiter verzichten, aber Orte, die zum Beispiel nicht das Einzugsgebiet für einen großen Billa haben, über innovative neue Konzepte mit Handlungskompetenz ausstatten.“
DerAutomat setzt auf Selbstbedienung 24/7
Ein innovatives Konzept hatte auch Roman Harrer, CEO von DerAutomat, mit im Gepäck. Er bietet laut eigenen Aussagen sicheren und echten sowie automatisierten 24-Stunden-Verkauf an sieben Tage die Woche an – und das seit über zehn Jahren. Gestartet hat Harrer Kooperationen mit Apotheken, die rezeptfreie Medikamente so auch nach Ladenschluss zur Verfügung stellen konnten. Die Automaten werden dabei entweder in die Fassade von stationären Geschäften integriert oder auch freistehend platziert. „Die Kunden wünschen sich oft Selbstbedienungsangebote an Orten, die sie ohnehin besuchen“, ist Harrer überzeugt. Händler könnten dies als Möglichkeit nutzen, ihr Angebot sowohl sortimentsseitig als auch über die Ladenöffnungszeiten hinaus zu erweitern. Heute bietet Der Automat seinen Service auch für andere Händler und Industriebetriebe an. Durch die Möglichkeit, die Regale auf bis zu sieben Meter Länge auszudehnen, finden hier bis zu 1.000 Artikel Platz. Stolz ist Harrer auf seinen Komplettservice, denn neben den Automaten bietet er auch die Software dafür an.
Immofinanz forciert leistbares Wohnen
Gerald Grüll, Head of Retail beim Immobilienentwickler Immofinanz, stellte seine Marke Stop Shop näher vor. Mit heute 100 Standorten in zehn Ländern ist man eigenen Angaben zufolge der führende Retailparkbetreiber in CEE. Die Kunden begeistere Stop Shop mit einem attraktiven Mietermix aus internationalen und nationalen Unternehmen und einem hohen Wiedererkennungswert durch ein einheitliches Erscheinungsbild. Um für die notwendige Wohlfühlatmosphäre zu sorgen und die Verweildauer zu steigern, lege man auch Wert auf besondere Serviceleistungen wie Grünflächen und Kinderspielplätze. In einem nächsten Step will Immofinanz leistbares und nachhaltiges Wohnen ermöglichen und hat zu diesem Zweck die Marke „On Top Living“ ins Leben gerufen. Hier sollen einstöckige Stop-Shop-Retailparks überbaut werden, um preisgünstigen und ressourcenschonenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen. „Wir arbeiten gerade an einem Prototyp“, schildert Grüll und merkt an „In den nächsten fünf bis sieben Jahren werden wir rund eine Milliarde Euro investieren und rund 12.000 Wohnungen mit etwa 50 Quadratmetern schaffen.“
Obacht bei Behörden und Hausdurchsuchung
Als ungewöhnliches Extra der Veranstaltung gab es heuer einen Einblick in die Psyche von Behördenmitarbeitern und Details zum Thema Hausdurchsuchung. Martin Schwarzbartl, selbst ehemaliger Steuerfahnder, früher im Büro für Interne Angelegenheiten im Bundesministerium für Finanzen (BMF) tätig sowie zertifizierter Datenschützer und nun selbständig als Geschäftsführer der Unternehmensberatung Compliance Manufaktur, gab den Teilnehmern der Tagung pointiert Wissenswertes für den Umgang mit Behörden mit auf den Weg. Schwarzbartl erklärte den Unterschied zwischen einer Zeugen- und einer Beschuldigtenbefragung und die damit einhergehenden Rechte und Pflichten. „Ich rate Ihnen eindringlich, sich intensiv auf eine Einvernahme vorzubereiten und die Situation vorab durchzuspielen. Und, ganz wichtig, wenn Sie aussagen: Bleiben Sie bei der Wahrheit“, so der Compliance-Experte. Denn: „Sie wissen nie, was die Behörde hat. Wenn dann plötzlich ein Dokument aus dem Hut gezaubert wird, das Ihre Aussage zumindest scheinbar widerlegt, haben Sie schlechte Karten.“ Als weitere klassische Fehler führte er unter anderem ins Treffen, die Intelligenz und Fähigkeiten des Ermittlers oder des Staatsanwalts zu unterschätzen und sich von einem freundlich auftretenden Behördenmitarbeiter „blenden“ zu lassen. „Je freundlicher der Ermittler zu Ihnen ist, desto gefährlicher ist es“, so Schwarzbartl.
Im Anschluss an Schwarzbartls Ausführungen sprach Andreas Pollak, Partner der Boutique-Kanzlei petsche pollak, über den ungebetenen Besuch der Hausdurchsuchung, die Unterschiede zwischen einer strafrechtlichen und einer kartellrechtlichen Hausdurchsuchung, und wann diese überhaupt zulässig sind. Wie schon sein Vorredner empfahl er, sich bereits im Vorfeld für den Ernstfall vorzubereiten und im Unternehmen eine feste Rollenverteilung auszuarbeiten. „Jeder soll genau wissen, was er zu tun hat“, so Pollak. Die Erstellung eines Hausdurchsuchungsleitfadens und von Templates für die Protokollführung sei ratsam. Klar abzuraten sei im Fall der Fälle von der Vernichtung von Beweismaterial. Ein weiterer Tipp: Eine Kopie des Hausdurchsuchungsbefehls anfertigen, den Ablauf protokollieren und die Anordnung auf Richtigkeit überprüfen.
Die MMM-Fachtagung
Seit 1985 veranstaltet GEWINN-Herausgeber Georg Wailand die MMM-Fachtagung, die sich als unabhängige Plattform für aktuelles Wissen aus der Handelsszene, für Markenartikler und die passende Industrie etabliert hat. MMM steht dabei für Moderne Markt-Methoden. Die Veranstaltung am 9. Juni fand im Arcotel Wimberger in Wien Neubau statt.
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