Hauptinhalt

Interview mit June-Yon Kim
„Für japanische Aktien gibt es zwei große Treiber“
Japan erlebt eine historische Zeitenwende: Der Nikkei-Index benötigte 35 Jahre, um nach dem Platzen der Spekulationsblase Ende 1989 sein Allzeithoch von damals wieder zu erreichen. Dies geschah 2024. Mittlerweile hat der japanische Leitindex besagtes Hoch sogar schon weit hinter sich gelassen. Auch die jahrzehntelange Deflation ist bereits Geschichte. Und jetzt hat erstmals eine Frau als neue Regierungschefin das politische Ruder übernommen. Es gibt also viel zu besprechen mit einem Mann, der sich hauptberuflich mit japanischen Aktien beschäftigt: June-Yon Kim, Lead Portfoliomanager und Analyst für japanische Aktien bei Lazard Asset Management.
GEWINN: Der japanische Aktienmarkt hat sich zuletzt hervorragend entwickelt, der Nikkei-Index die magische Marke von 50.000 Punkten geknackt. Was war der Trigger für die jüngsten Kursaufschläge? Ich nehme an, die Wahl von Sanae Takaichi zur ersten Premierministerin des Landes …
June-Yon Kim: Ich denke, es ist eine Kombination von mehreren Faktoren, die den japanischen Aktienmarkt in den vergangenen Monaten befeuert hat. Allen voran das generell gute Marktumfeld, Aktienmärkte sind ja weltweit gut gelaufen. Dann hat sich Japan im Zollstreit mit den USA im Juli auf ein Handelsabkommen geeinigt, was Sicherheit schafft und für die zahlreichen exportorientierten Unternehmen erfreulich ist. Und schließlich – da haben Sie recht – wurde zuletzt auch die neue Regierung von den Finanzmärkten wohlwollend aufgenommen.
GEWINN: Weil Sanae Takaichi, die vor allem für ihre ultrakonservative Haltung bekannt und ein Fan der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher ist, eine wachstumsfördernde Politik betreiben wird und die Hoffnung der Marktteilnehmer auf fiskalische Anreize, eine unterstützende Geldpolitik und verstärkten Reformdruck weckt?
June-Yon Kim: Ja, sie hat in der Tat eine wachstumsfreundliche Agenda, und der Markt ist durchaus optimistisch, was ihre Politik betrifft. Man hofft auch auf Strukturreformen. Aber Sanae Takaichi ist in einer Koalition und muss darüber hinaus politische Mehrheiten finden und dafür Kompromisse eingehen. Ich glaube, es wird keine dramatischen Veränderungen geben. Die Erfahrung lehrt, dass die Realpolitik im Vergleich zur Wahlrhetorik dann oft gemäßigter ausfällt. Bei den Zinsen hat man das auch schon beobachtet: Zuletzt waren ihre Aussagen zu diesem Thema bereits gemäßigter. Insofern sollte der Markt nicht zu viel erwarten. Ich denke, hier wird es weiterhin zu einer Normalisierung der Zinspolitik kommen, aber nicht mehr. Denn mittlerweile hat auch Japan eine beachtliche Inflation.
GEWINN: Wie hoch ist die Inflation derzeit?
June-Yon Kim: Die Kerninflation exklusive „frischer“ Lebensmittel (bzw. Frischware in Abgrenzung zu Lebensmitteln im Allgemeinen) und Energie liegt bei rund drei Prozent. Aber zurück zur Politik: Der Markt sollte, wie gesagt, hinsichtlich wachstumsfördernder Politik nicht zu viel erwarten. Er wurde allerdings, wie eingangs ausgeführt, ohnehin nicht nur dadurch beflügelt. Es gab eine erste Phase der Rallye, das war eine technische Erholung nach der Korrektur im April. Dann kam eine zweite Phase nach der Einigung im Handelsstreit. Und die politische Weichenstellung war jetzt die dritte Phase, die den Nikkei nun über 50.000 Punkte getrieben hat. Aber mehr als Euphorie oder gar überzogene Erwartungen war es hier einfach der Umstand, dass es nun Gewissheit gibt über die neuen politischen Verhältnisse und Kräfte, der den Markt beflügelte. Der Markt mag keine Unsicherheiten.
GEWINN: Die konjunkturelle Entwicklung hat zuletzt zwar positiv überrascht, ein annualisiertes BIP-Wachstum von einem Prozent ist aber immer noch relativ verhalten. Das rechtfertigt wohl noch kein Rekord an den Börsen, oder?



