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„Innovation findet in Europa oft im Verborgenen statt“
Das Pharma- und Biotechunternehmen Camurus aus Schweden ist laut Baillie Gifford ein Beispiel für innovative Unternehmen in Europa.
© Max Alm-Norell

Interview Baillie Gifford

„Innovation findet in Europa oft im Verborgenen statt“

Die USA, China und Europa stehen im globalen Wettstreit um die ökonomische und technologische Vormachtstellung, wie Craig Collins, Linda Lin und Christopher Howarth vom Vermögensverwalter Baillie Gifford im Gespräch mit GEWINN betonen.

Von Clemens Peleska

18.11.2025
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Die weltwirtschaftlichen Kräfteverhältnisse haben sich in den vergangenen Jahren stark verschoben. Die USA, China und Europa ringen um wirtschaftliche Stärke und technologische Führerschaft in einer zunehmend fragmentierten globalen Ordnung. GEWINN hat mit drei Experten aus dem Finanzhaus Baillie Gifford aus Schottland, Craig Collins, Linda Lin und Christopher Howarth, über die Dynamik von Wandel, Innovation und kulturelle Unterscheide in den drei Wirtschaftsräumen gesprochen.

Gewinn: Die USA, China und Europa sind drei völlig unterschiedliche Märkte. Warum sollen Anleger gerade in dem von Ihnen vertretenen Wirtschaftsraum nach Investitionsmöglichkeiten suchen?

Lin: Der Finanzmarkt in China wurde von vielen Investoren in den letzten Jahren gemieden. Seit dem Herbst 2024 ist aber eine Trendumkehr erkennbar. Die Regierung unterstützt wieder private Unternehmen, die rund zwei Drittel der chinesischen Innovation und 80 Prozent der städtischen Arbeitsplätze schaffen. Zudem verbessert sich der Dialog zwischen China und den USA. Als Wachstumsinvestoren kann man China einfach nicht ignorieren. Mehr als 30 Prozent der globalen Wachstumsunternehmen stammen aus dem Reich der Mitte. Und trotz einer bereits eingetretenen Erholung notieren viele chinesische Aktien immer noch mit einem kräftigen Bewertungsabschlag zu vergleichbaren US-Titeln. Die Bewertung ist im Schnitt um etwa die Hälfte geringer. Dafür sind allerdings auch die Risiken höher.

Porträt Craig Collins, Baillie Gifford
Craig Collins, Baillie Gifford: „Derzeit sprechen einige Leute von einer KI-Blase in den USA. Eine tatsächliche Blasenbildung sehe ich derzeit aber noch nicht.“© Baillie Gifford & Co

Collins: Die USA sind der globale Innovations- und Technologiemotor. Bei der Entwicklung der künstlichen Intelligenz ist man in einer absoluten Schlüsseltechnologie der Zukunft führend. Derzeit sprechen einige Leute von einer KI-Blase in den USA. Eine tatsächliche Blasenbildung sehe ich derzeit aber noch nicht. Ich denke, wir stehen eher am Anfang eines angebotsbeschränkten Infrastrukturzyklus als am Ende einer Spekulationsphase. Es gilt, den Lärm der Märkte auszublenden und auf Fundamentaldaten zu achten. Unternehmen wie Nvidia oder Microsoft profitieren von realen Produktivitätsfortschritten.

Howarth: Europa war lange für Anleger, die auf Wachstumstitel gesetzt haben, eher enttäuschend. Nach Jahren der Vernachlässigung dieses großen Finanzmarkts sind die Bewertungen dafür jetzt immer noch günstig. Durch Programme wie das 500 Milliarden Euro schwere Infrastrukturpaket entsteht neues Potenzial für die europäische Wirtschaft. Die Politik erkennt zunehmend, dass Innovation wichtiger ist als Überregulierung. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein für Themen wie Verteidigung, Energie und Industrie. All das kann die europäische Wirtschaft beleben, und Anleger, die den langfristigen Blick wählen, können profitieren.

GEWINN: Das bereits angesprochene Thema der künstlichen Intelligenz scheint den globalen Markt zu beherrschen. Wie schlagen sich hier die drei Wirtschaftsräume im Vergleich?

Collins: In den USA erleben wir eine enorme Investitionswelle, die beispiellos ist. Die Skalierbarkeit verbessert sich, die Stückkosten sinken, und KI-Anwendungen wie ChatGPT verbreiten sich so schnell wie keine andere Technologie zuvor. Die großen Kapitalausgaben der Unternehmen zeigen, dass der Glaube an das Zukunftspotenzial von künstlicher Intelligenz weiter zunimmt. Die USA sind hier absolut dominant.

Lin: In China läuft die KI-Entwicklung parallel zu anderen großen Vorhaben, hat aber ein klares politisches Ziel: technologische Autarkie. Nach den Exportverboten für KI-Chips aus den USA hat Peking den Aufbau einer eigenständigen Halbleiterindustrie für künstliche Intelligenz beschleunigt. Unternehmen wie Horizon Robotics produzieren bereits Millionen Chips für autonomes Fahren und für die Robotik. Auch Large-Language-Modelle wie Alibabas Qwen oder Minimax entstehen zu einem Bruchteil der Kosten in den USA. Über 50 Prozent der weltweiten KI-Forscher sind chinesisch. Allein das zeigt, wie groß das Innovationspotenzial hier ist.

Porträt Christopher Howarth, Baillie Gifford
Christopher Howarth, Baillie Gifford: „Europa besitzt weniger große IT- und Technologiekonzerne, aber eine starke industrielle Basis und technologische Nischen.“© Baillie Gifford & Co

Howarth: Europa besitzt weniger große IT- und Technologiekonzerne, aber eine starke industrielle Basis und technologische Nischen. Die Halbleiterindustrie ist ein gutes Beispiel: ASML ist der weltweit führende Anbieter von Lithografiemaschinen. Auch andere Unternehmen liefern entscheidende Komponenten für die Herstellung von Hochleistungschips. Innovation findet in Europa oft im Verborgenen statt, im Maschinenbau, in der Medizintechnik oder in der Biotechnologie. Sie wird oft übersehen, aber es gibt sie.

GEWINN: Welche langfristigen Entwicklungen prägen Ihre Region gerade am stärksten?

Howarth: Europa ist kein einheitlicher Markt, sondern ein Kontinent mit 44 Ländern und mit vielen Wachstumsinseln. Die wichtigste strukturelle Stärke Europas ist seine Diversität. Viele spezialisierte Weltmarktführer agieren unabhängig voneinander und tragen die Innovation des Kontinents voran. Ein paar Beispiele für europäische Spezialisierung: Schweden steht für industrielle Innovation, die Schweiz für Pharmaindustrie und Luxus und die Niederlande für Halbleitertechnik. Und das Wachstum der osteuropäischen Länder wie etwa Polen zeigen die Vorteile der europäischen Integration.

Porträt Linda Lin, Baillie Gifford
Linda Lin, Baillie Gifford: „In China wird die Mittelschicht bis 2035 rund 800 Millionen Menschen umfassen, das wäre dann der größte Verbrauchermarkt der Welt.“© Baillie Gifford & Co

Lin: Chinas Wirtschaft will sich neben der Innovationsgetriebenheit auch beim Konsumverhalten stark entwickeln. Die Mittelschicht wird bis 2035 rund 800 Millionen Menschen umfassen, das wäre dann der größte Verbrauchermarkt der Welt. Gleichzeitig investiert China massiv in grüne Technologien: 40 Prozent der weltweiten Elektroautos und über 70 Prozent der Batteriekapazität stammen bereits aus China. Das Land will bis 2060 klimaneutral werden. Diese Kombination aus Nachhaltigkeit, Konsum und Technologie bietet enorme Chancen.

Collins: Ich sehe neben KI noch drei Megatrends für die USA: Robotik, Infrastruktur und Deglobalisierung. In den USA sorgen alternde Gesellschaften und Arbeitskräftemangel dafür, dass sich Roboter vom derzeitigen eher experimentellen Stadium in die tatsächliche Anwendung entwickeln werden. Gleichzeitig müssen jahrzehntelang vernachlässigte Infrastrukturen wie Straßen, Stromnetze und Datenleitungen erneuert werden. Und schließlich beobachten wir eine schrittweise Entkopplung von globalen Lieferketten, die auch durch die derzeitige US-Politik vorangetrieben wird. 

GEWINN: Sprechen wir über geopolitische Risiken: Wie sehr beeinflussen Themen wie Handelskonflikte, Angriffskriege oder potenzielle Annexionen Ihre Investmententscheidung?

Lin: Niemand weiß, was geschehen wird, aber ein wichtiger Faktor in China wird vom Westen gern übersehen: In China gibt es einfach kein gesellschaftliches Bedürfnis nach Krieg, und auch die Regierung ist sich der Folgen eines solchen Schritts bewusst. Friedliche Lösungen werden dadurch wahrscheinlicher. Ganz generell verlangen wir aber höhere Renditeerwartungen, wenn wir geopolitische Risiken kompensieren wollen. Dies betrifft auch China. 

Howarth: Osteuropäische Aktien notieren derzeit mit Risikoabschlägen, was nach dem Angriffskrieg durch Russland auf die Ukraine vollkommen verständlich ist. Doch wenn das fürchterliche Szenario eines weiteren kriegerischen Fortschreitens Russlands nicht eintritt, bieten diese Märkte überdurchschnittliches Potenzial. Auch die europäische Verteidigungsindustrie erlebt einen Boom. Rüstungsunternehmen haben volle Auftragsbücher. Für uns ist das kein klassischer Wachstumssektor, aber ein Feld, das wir inzwischen durchaus genau beobachten. Die Bewertungen sind bei vielen Unternehmen allerdings schon recht hoch. 

Collins: Wir sprechen regelmäßig mit Unternehmenslenkern in den USA über Resilienz und Schutz der Lieferketten. Die Lehren der letzten Jahre haben uns gezeigt, dass robuste Geschäftsmodelle wichtiger sind als auf maximale Effizienz getrimmte Lieferketten. Wir sehen bei vielen Unternehmen ein aktives Aufbauen von Puffern und Lagerbeständen, um die Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern zu reduzieren. 

GEWINN: Noch ganz kurz: Wo sehen Sie gerade die spannendsten Investmentchancen, und welche Branche Ihrer Region meiden Sie lieber?

Collins: Ich denke, qualitativ starke Unternehmen mit überdurchschnittlichem Wachstumspotenzial und klarer technologischer Führungsrolle sind immer einen Blick wert. Ein Beispiel: Analog Devices ist auf die Signalverarbeitung zwischen physischer und digitaler Welt spezialisiert, eine Basistechnologie für die Robotik. Meiden würde ich kapitalintensive Bereiche. 

Lin: Unsere Favoriten liegen in den Bereichen KI, Robotik und lokale Konsummarken. Der KI-Chip-Entwickler Horizon Robotics ist eine spannende Zukunftsaktie. Vom Immobiliensektor halten wir uns fern. Das Wachstum Chinas wird nicht mehr aus dem Bau von Hochhäusern heraus entstehen, sondern durch Technologie und Dienstleistungen. 

Howarth: Wir investieren gezielt in Wachstumsnischen. Zwei Beispiele: Dino Polska, eine schnell wachsende Supermarktkette in ländlichen Gebieten, und Camurus aus Schweden, das lang wirkende Medikamente gegen Opioidabhängigkeit entwickelt. Wir meiden hingegen die strukturell wachstumsschwachen Versorger.

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