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Weinblog
Der österreichische Weinskandal 1985
Im Jahr 1969 brachte ein Jahrhundertherbst innerhalb weniger Wochen solchen Botrytisdruck, dass Betriebe, die noch nie in ihrem Leben Hoch-Prädikate produziert hatten, mit einer Fülle an Beerenauslesen und weiteren Süßweinen konfrontiert waren. „Wohin mit all diesen edelsüßen Kreszenzen?“, fragte sich so mancher Winzer, war doch der heimische Markt für diese Prädikatsweine begrenzt.
Doch unsere deutschen Nachbarn entdeckten schnell, dass hier im Burgenland großartige Süßweine zum Diskontpreis erhältlich waren. Sogar im Doppler, der Zweiliterflasche, wurden Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen angeboten.
Einmal auf den Geschmack gekommen, fragten deutsche Weinhändler und Konsumenten auch in den darauffolgenden Jahren nach Süßweinen mit bestechendem Preis-Leistungs-Verhältnis. Aber die Natur war nicht in jedem Jahr so freigiebig. Auch die Rebflächen im Seewinkel um Illmitz waren noch nicht wirklich voll erschlossen.
Eine Studie der Universität für Bodenkultur aus dem Jahr 1973 (die sogenannte List-Studie) prognostizierte, dass sich der Pro-Kopfkonsum in Österreich deutlich erhöhen, ja sogar verdoppeln würde. Dies galt dann als „Ausrede“ für eine unkontrollierte Ausweitung der Rebfläche. Wo früher Gänse auf Weideland grasten, wuchsen plötzlich Reben. Die Rebfläche explodierte innerhalb weniger Jahre von 45.000 auf 65.000 Hektar, und Österreich mutierte vom Weinimportland zum Überschuss-Aspiranten.
Zusätzlich ließen steuerliche Änderungen im Gesetz Lücken für den Schwarzweinmarkt entstehen. Um so manches durchschnittliche Produkt als Prädikatswein anbieten zu können, wurde in einigen Betrieben manipuliert. Als noch unbekannte, illegale Beimengung zum Wein wurde vor allem vom Chemiker Otto Nadrasky Diethylenglykol empfohlen und verbreitet.
Während die Zugabe vom ebenso verbotenen Glykol zum Wein in einigen Ländern schon des Öfteren entdeckt und bestraft wurde, war der mehrwertige Alkohol Diethylenglykol noch ein Geheimtipp. Nicht nur, dass die Beimengung dieser Chemikalie den Wein runder und süßer schmecken ließ, auch der Effekt, dass sich die gepanschten Produkte quasi als „analysenfest“ erwiesen, war geschätzt.
Vor allem die beiden Großkellereien der Gebrüder Grill (in Fels am Wagram) und Peer (für die Billa-Gruppe), aber auch einige Händler bzw. Produzentenhändler in Hadersdorf sowie im Nordburgenland waren involviert. Parallel zur Beigabe von Diethylenglykol wurde später auch Kunstwein gefunden und der Einsatz von Natriumazid konnte ebenso nachgewiesen werden. Zusätzlich entdeckte man auch den florierenden Markt mit Prädikatsweinzertifikaten, um die gepanschten Produkte zur „offiziellen“ Spätlese oder Auslese aufzuwerten.
Doch bis das alles aufgedeckt und durchleuchtet werden konnte, war es ein langer und beschwerlicher Weg. Zum einen wurde bereits Ende 1984 eine mysteriöse Probe an das Forschungslabor der landwirtschaftlich-chemischen Versuchsanstalt in Wien abgegeben, die aber zunächst noch nicht analysiert werden konnte. 1985 fiel der Finanz auf, dass ein relativ kleiner Betrieb eine verdächtig große Menge an Diethylenglykol als Frostschutzmittel von der Steuer abschreiben wollte.
Parallel dazu tauchten in Deutschland Prädikatsweine auf, die mit Diethylenglykol versetzt waren. Dort kam es vor allem zum illegalen Verschnitt von einfachem deutschem Wein mit österreichischen „Pseudo-Prädikatsweinen“. Bei unserem Nachbarn konnte dies aufgrund der moderneren Messmethoden und Geräte, sogenannter Gaschromatographen, schneller aufgedeckt werden.
Die Bombe platzte so richtig im heimischen Sommerloch 1985, und die damaligen Funktionäre bzw. Politiker reagierten mit der Vogel-Strauß-Politik. Doch der Weinskandal kochte munter weiter, und von einer professionellen PR-Strategie war nichts zu merken. Österreichischer Wein war bis dahin nahezu unbekannt. Jetzt ging der heimische Rebensaft durch die Weltpresse – aber im negativen Sinn.
Falsche Beschuldigungen und Verschwörungstheorien dominierten die Titelseiten der heimischen und internationalen Presse, TV-Anstalten warnten vor dem Genuss von heimischen Weinen, der Export implodierte. Auch wenn sich alle Behauptung von schweren gesundheitlichen Schäden und Todesfällen als falsch erwiesen, unser spärlicher Ruf als Weinnation war schlichtweg ruiniert. „Österreichischer Wein ist frostsicher!“ konnte man lesen. Der heimische Lebensmitteleinzelhandel, der bis dahin als wichtige Quelle für den Weineinkauf galt, brach im Umsatz ein. Man kaufte nun primär beim Winzer seines Vertrauens.
Die Menge an gepanschtem Wein wurde auch durch den Verschnitt mit unverfälschten Produkten immer größer, denn bei den ersten Untersuchungen konnten Diethylenglykol erst bei einem relativ hohen Grenzwert festgestellt werden. Um dies zu verschleiern, wurde ausgiebig verschnitten. Doch Dr. Bandion von der Landwirtschaftlich-chemischen Bundesversuchsanstalt in der Trunnerstraße verfeinerte ständig die Analytik, und die Menge an kontaminiertem Wein vergrößerte sich dramatisch, ja verdreifachte sich.
Die Pantscher wurden nicht nach dem Weingesetz angeklagt, wo ein Vergehen, relativ glimpflich, mit Geldstrafen geahndet worden wären, stattdessen erfolgte die Anklage nach dem Betrugsdelikt, und die (Freiheits-)Strafen waren in einigen drastischen Fällen drakonisch.
Während heute die Weinernten relativ konstante Erträge liefern (um die 2,1 Millionen Hektoliter = 210 Millionen Liter), waren in den 1980er Jahren noch dramatische Schwankungen obligat. So konnte 1982 mit 4,9 Millionen Hektoliter die größte Ernte nach dem Zweiten Weltkrieg eingefahren werden, während drei Jahre später mit 1,1 Millionen Hektoliter im Weinskandal-Jahr 1985 fast nur ein Fünftel davon geerntet wurde. Frostschäden hatten auch in den beiden Folgejahren geringere Ernten zur Folge.
Zum fast gleichen Zeitpunkt kam es in Italien ebenfalls zu einem Weinskandal, weil zum Rotwein (Barbera) der giftige Methylalkohol beigemengt wurde. Dort kam es wirklich zu mehreren Todesfällen, doch das skandalerprobte Weinland reagierte weitaus professioneller als die heimische Weinwirtschaft. Sofort wurden alle unsicheren Weine ausgetauscht und eine Imagekampagne in den Medien der wichtigen Absatzmärkte geschaltet.
In Österreich mussten erst deutsche Weinhändler, die massiv vom Diethylenglykol-Skandal geschädigt wurden, die Republik Österreich klagen, um ab 1990 (unter meiner Geschäftsführung als Chef der Österreich Wein Marketing) die ersten Wiedergutmachungen zu erhalten. Die heimischen Mühlen mahlten damals noch sehr zaghaft. In Südtirol hörte man: „Zwischen Diethylenglykol und Methanol liegt Südtirol!“.
Mit dem „strengsten Weingesetz der Welt“, das noch einige Korrekturen verlangte, und trotz der politischen Uneinigkeit der damaligen Großparteien, wurden dann doch „Weinnägel“ mit Köpfen vollbracht. Vor allem durch die Einführung der Staatlichen Prüfnummer für alle Qualitätsweine und durch die Gründung der Österreichischen Weinmarketinggesellschaft (ÖWM) Ende 1986 wurde das Österreichische Weinwunder eingeleitet.
Auch wenn Teile vom Weinhandel nicht immer voll Überzeugung den Qualitätspfad mitgehen wollten, die Premiumstrategie setzte sich durch. „Vom Doppler zur Bouteille“, „Qualität vor Quantität“ lautete die gelebte Philosophie. Und die heimische Weinwirtschaft ging voll ambitioniert mit auf diesem Weg. Gastro-Kampagnen im In- und Ausland bewiesen, wie toll heimischer, trockener Wein zum Essen passt, und auch der LEH (die Supermärkte) schwenkte als „die Vinothek ums Eck“ auf die Qualitätsschiene.
Wie schade, dass in der TV-Dokumentation, die im ORF, der ARD und in Arte lief, nicht der wichtigste Zeitzeuge zu Wort kam. Ing. Josef Pleil war es, der als Weinbaupräsident und Aufsichtsratsvorsitzender der ÖWM zum heimischen Weinwunder maßgeblich beitragen konnte und auch authentisch zu berichten weiß. Nicht die vielen kleinen Winzer und Winzerinnen, sondern meist die großen Händler waren es, die uns in jene fatale Lage brachten. Aber nach dem Motto, dass jede Krise auch eine Chance beinhaltet, zog sich die heimische Weinwirtschaft selbst aus dem Skandalsumpf – auch wenn der Heilungsprozess schon ein wenig mühsam zu verlaufen schien.