Hauptinhalt

Interview Tina Tian, Fidelity Hong Kong
„Am Aktienmarkt in China besteht noch deutliches Potenzial nach oben!“
GEWINN hat die Gelegenheit genutzt, mit Tina Tian, Portfoliomanagerin von Fidelity aus Hongkong, bei ihrem Wien-Besuch über die derzeitigen Entwicklungen der Wirtschaft und des Kapitalmarkts in China zu sprechen.
GEWINN: Im medialen Diskurs wird China oft als Supermacht der Zukunft beschrieben. Wie sieht es in der Realität mit der chinesischen Wirtschaft im Jahr 2025 aus?
Tian: Zur Beantwortung dieser Frage sollte man sich die Entwicklungen der letzten Jahre ansehen. Zu Beginn der Coronapandemie ist es der chinesischen Wirtschaft sehr gut gegangen. Während der Rest der Welt stillgestanden ist, hat China für den Pandemiealltag notwendige Produkte produziert und weltweit exportiert. Als die westliche Welt aber Schritt für Schritt wieder aus der Pandemie rausgekommen ist, hat China immer noch strikte Maßnahmen beibehalten und so den Konsum länger zurückgehalten. Generell lässt sich sagen, dass chinesische Konsumenten bis heute eine Wunde aus dieser Zeit mit sich tragen. Es wurde unterschätzt, wie lange es dauert, bis Konsumenten wieder in ihr gewohntes Ausgabemuster zurückkehren.
GEWINN: Gibt es noch andere Gründe, warum der Konsum in China schwächelt?
Tian: Ein Hauptproblem der chinesischen Wirtschaft ist definitiv der Immobilienmarkt. Die großen Investitionssummen in die gesamte Wertschöpfungskette rund um den Bau von Immobilien haben in der Vergangenheit einen zu großen Teil der chinesischen Gesamtwirtschaft ausgemacht. Und das ist nicht nachhaltig. Vor dem Jahr 2021 gab es in China keinen Abschwung am Immobilienmarkt. Doch im Jahr 2020 ist die Regierung eingeschritten und hat Regulierungen beschlossen, um die Immobilienentwickler zum Abbau ihres hohen Verschuldungsgrads zu zwingen. Dies hat eine verheerende Spirale in Gang gesetzt und gigantische Immobilienentwickler in finanzielle Notlagen gebracht.
Bereits an chinesische Bürger verkaufte Wohneinheiten konnten nicht fertiggestellt werden, die Käufer der Wohnungen wurden um ihr im Voraus bezahltes Geld gebracht. Das hat enorme Unsicherheiten am Immobilienmarkt erzeugt, die bis heute anhalten. Der Immobilienmarkt ist im Schnitt noch immer 30 Prozent vom Allzeithoch entfernt.
GEWINN: Aber was hat das mit dem Konsumverhalten der chinesischen Bürger zu tun?
Tian: Ein großer Teil des Vermögens eines durchschnittlichen chinesischen Bürgers ist in Immobilien angelegt. Der Wertverlust am Immobilienmarkt hat somit viele Chinesen verunsichert und sie für zukünftige Investitionen und Konsum zurückhaltender gestimmt. Wenn man sich aber das durchschnittliche Vermögen eines chinesischen Haushalts ansieht, so ergibt sich im historischen Vergleich ein historisch positives Bild. Denn die chinesischen Bürger haben viel Geld angespart und ihre Schuldenquote reduziert, ihre Bilanz ist damit viel stärker als in den Jahren vor der Pandemie. Die Gesellschaft hat also genug Kaufkraft, ist aber beim Ausgeben des Geldes durch die Verunsicherungen der vergangenen Jahre noch immer zurückhaltend.
GEWINN: Was tut die chinesische Regierung, um den Konsum wieder anzukurbeln?
Tian: Die chinesische Regierung hat bislang nur moderate Schritte gesetzt. So wurden etwa Restriktionen zum Kauf von Immobilien etwas gelockert. Trotzdem wurden die Immobilienentwickler nicht im großen Stil vom Staat gerettet. Auch wurden einige Subventionen zur Stimulation des Konsums beschlossen, die Anreize für den Kauf von Autos oder Möbeln geben sollen. Das langfristige Ziel der Regierung ist es trotzdem, ein nachhaltigeres Wirtschaftsmodell für ihr Land zu finden, das durch marktwirtschaftlichen Konsum und technologische Innovation getrieben wird.
GEWINN: Wie sieht es am chinesischen Aktienmarkt aus? Werden chinesische Wertpapiere wieder verstärkt von Investoren nachgefragt?
Tian: Ein wirklich positives Signal, auch bezogen auf das Konsumverhalten in China, ist die Nachfrage der chinesischen Bevölkerung nach inländischen Aktien. Dieser Trend kann als positiver Wohlstandseffekt bezeichnet werden, obwohl hier auch noch deutliches Potenzial nach oben besteht. Gerade durch die hohe Sparquote der chinesischen Haushalte kann noch deutlich mehr Kapital an die Finanzmärkte fließen.