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Interview
„Wir sehen einen neuen Wettbewerb der Großmächte“
Sandra Ebner leidet nicht unter einer Berufskrankheit, die bei Ökonomen weit verbreitet ist: Im Unterschied zu vielen Vertretern ihrer Zunft scheut sie es nicht, eine klare Meinung zu den Märkten zu äußern und zu vertreten. Das macht sie nicht nur zu einer spannenden Interviewpartnerin, sondern auch zu einer gefragten Vortragenden, wovon sich Besucher der GEWINN-Messe überzeugen können (siehe Programmtipp rechts).
GEWINN extra: Wir haben in den vergangenen zwölf Monaten eine wahre Achterbahnfahrt an den Börsen miterleben müssen. Sie schreiben in einer aktuellen Analyse, dass diese nicht nur Donald Trump verursacht hat. Wer oder was war es dann?
Ebner: Es gibt auch strukturelle Veränderungen, die unabhängig von Trump für erhöhte Volatilität an den Märkten sorgen. Und zwar sehen wir einen neuen Wettbewerb der Großmächte, der zu einem Dilemma führt, das nicht leicht aufzulösen ist. Nach dem Kalten Krieg hat die Globalisierung eine starke globale Arbeitsteilung und damit auch eine hohe gegenseitige Abhängigkeit der Wirtschaftsräume gebracht. Das war lange Zeit kein Problem. Jetzt hat sich das aber geändert, weil China zusehends den Anspruch auf eine globale Führungsrolle stellt.
Damit kommen wir wieder in einen Großmachtwettbewerb, wie er im Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion geherrscht hatte. Der Unterschied ist aber, dass wir damals nicht diese wirtschaftlichen Abhängigkeiten hatten. Das waren getrennte Blöcke, die nichts miteinander zu tun hatten. Und die Kombination aus einem Großmachtwettbewerb, der ein latentes Risiko von Konflikten mit sich bringt, und der wirtschaftlichen Abhängigkeit ist tendenziell gefährlich. In Europa hat uns ja der Ukrainekrieg deutlich aufgezeigt, dass solche Abhängigkeiten im Zweifelsfall ein existenzielles Risiko sind.
GEWINN extra: Was bedeutet das für die Weltwirtschaft?
Ebner: Es macht deutlich, dass die Regionen ihre gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten wieder abbauen und das Wirtschaftssystem entsprechend ummodeln müssen. Und das verstärkt die strukturelle Schwankungsanfälligkeit. Denn wir entfernen uns damit schrittweise von einem global arbeitsteiligen Prozess, der von einem Überschuss des Angebots an Arbeitskräften und Inputfaktoren gekennzeichnet war, hin zu einem deutlich regionaleren oder lokaleren Angebot, das in vielen Fällen knapper und damit anfälliger für Angebotsschocks und eine Überhitzung ist.
GEWINN extra: Gibt es Regionen, die mit diesem neuen Umfeld besser umgehen können als andere?
Ebner: Ja, aber wir in Europa zählen leider nicht dazu. Uns fällt es besonders schwer, weil wir von der Globalisierung so enorm profitiert haben. Wir hätten gern die alte Welt zurück, die wird es aber nicht mehr geben. Denn für die europäischen Unternehmen bricht nicht nur zusehends der wichtige chinesische Absatzmarkt weg, sondern China drängt jetzt zusätzlich noch stärker in den europäischen Markt, weil ihm der Absatz in den USA zusehends erschwert wird. Die Globalisierung war auch dadurch geprägt, dass der Fokus der Wirtschaft auf der Steigerung der Effizienz lag. Das ändert sich jetzt. Der Staat greift stärker mit Handelspolitik, mit Investitionsförderung und Exportkontrollen ein. Das machen die Chinesen, die Amerikaner, auch die Japaner und Koreaner schon längst. Nur Europa tut sich da unglaublich schwer.
GEWINN extra: Wie sollte Europa auf diese neue Weltordnung reagieren?
Ebner: Das Einzige, was wir machen können, ist, wirklich auf unsere eigene Wettbewerbsfähigkeit zu schauen. Und dafür muss man zunächst einmal Geld in die Hand nehmen und investieren. Und darum glaube ich, dass diese Investitionspakete für Infrastruktur und auch Verteidigung der richtige Schritt sind. Jetzt kommt es noch darauf an, wie man das umsetzt. Aber ich glaube, wir sind jetzt zumindest dadurch einen Schritt weiter, weil wir verstanden haben, dass die Globalisierung nicht mehr in der Form wie früher zurückkommt. Wir in Europa dürfen uns aber nicht abschotten, sondern müssen immer nach neuen Handelspartnern suchen. Die Lieferketten werden anders aussehen, aber es wird keine komplette Autarkie geben. Und wir müssen gleichzeitig auch auf die eigene Nachfrage achten, und um aktive Industriepolitik kommen wir auch nicht mehr herum.