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Foodora Fahrradboten© Foodora

Nachbericht der MMM-Veranstaltung vom 23. Mai 2023

Auf Transformationskurs

Acht Handelsexperten und der Wirtschaftsminister höchstpersönlich präsentierten auf der MMM-Fachtagung ihre Ideen für eine florierende Branche. Unter der Klammer Transformation reichte das Spektrum dabei von Quick Commerce über klimafreundliche Supermärkte bis zu einer eigenen App für schnellere Kaufabschlüsse mit verifizierten Kundendaten.
Von Michaela Schellner

Wenn Georg Wailand in seiner Funktion als GEWINN-Herausgeber und Präsident des MMM-Clubs Österreich zur gemeinsam veranstalteten MMM-Fachtagung lädt, dann geben einander hochkarätige Referenten gerne die Klinke in die Hand. Zweimal im Jahr werden hier die neuesten Trends im Handel genau unter die Lupe ­genommen. Und wie schon in der ­Vergangenheit sorgte auch das diesmalige Programm bereits im Vorfeld für Spannung und lockte zahlreiche Teilnehmer ins Arcotel Wimberger im siebenten Wiener Gemeindebezirk.

Inflation: Zwei Prozent irreal

Den Vortragsreigen eröffnete der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft. Martin Kocher gab nicht nur einen Überblick über die aktuelle Wirtschaftslage, sondern ging in seiner Analyse auch auf die derzeitige Situation auf dem Arbeitsmarkt und das hochbrisante Thema Inflation ein. In Sachen Arbeitsmarkt sei aktuell besonders wichtig, möglichst viele Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Maßnahmen wie die Rot-Weiß-Rot-Karte, von der heuer die Vergabe von rund 10.000 Stück erwartet wird, oder ältere Arbeitnehmer länger im Erwerbsprozess zu halten, würden hierbei eine wichtige Rolle spielen. In puncto Inflation erwartet der Minis­ter für 2023 einen Wert zwischen sieben und acht Prozent. „Erst 2024 wird es einen starken Rückgang geben; die angepeilten zwei Prozent werden wir aber nicht so schnell erreichen.“

Aktionen bei Konsumenten beliebt

Von trüben Aussichten im heimischen Einzelhandel für das Gesamtjahr 2023 aufgrund der hohen Inflation sprachen auch Christoph Teller und Ernst Gittenberger von der Johannes Kepler Universität Linz. „Ein wesentlicher ­Indikator der Konsumlaune ist die ­eigene Finanzlage, die derzeit von den Haushalten sehr negativ eingeschätzt wird“, analysiert Gittenberger. Das wiederum führe einerseits zu einer Kaufzurückhaltung und sorge andererseits für einen Höhenflug bei Aktionen, die Teller aber kritisch sieht. „Aktionitis ist wie eine schwere Droge. Mittelfristig hilft sie, aber auf Dauer macht sie den Handel krank, weil keine vernünftigen Margen mehr erwirtschaftet werden.“ Einen Ausweg sehen die Experten im Fokus auf Produkte „Made in Austria“, für die drei Viertel der Konsumenten bereit wären, tiefer ins Börsel zu greifen. Dennoch bleibe die Situation bis 2024 weiter angespannt.

Treffpunkt Shoppingcenter

Wie Shoppingcenter einen Beitrag zur positiven Grundstimmung in der Bevölkerung beitragen, beleuchtete Paul Douay. Der Director of Operations Österreich und Deutschland von Unibail-Rodamco-Westfield gewährte den Veranstaltungsbesuchern einen Blick hinter die Kulissen des Immobilien- und Investmentunternehmens, das in Österreich die Shoppingcenter SCS und Donauzentrum besitzt. Entertainment sei ein großes Thema für die Branche. „Erfolgreiche Einkaufszentren sind mehr als eine reine Ansammlung von Geschäften, sie sind ­soziale Treffpunkte“, betonte Douay. In der SCS entstehe derzeit Österreichs modernstes Kino inklusive Freizeit- und Entertainmentareal mit ­Restaurants und Bars, das Ende 2023 eröffnen soll. Was den Handel betrifft, erklärte der Manager: „Der Handel kann nur erfolgreich sein, wenn er einen Fokus auf innovative Omnichannelkonzepte und eine intelligente Verknüpfung zwischen Online und Offline legt“, ist Douay überzeugt.

Vom Diskonter zum Fachhändler

Das sieht auch Oliver Seda, seit Oktober 2021 Geschäftsführer des Sportartikelhändlers Hervis so, der sich aktuell in der Transformation vom Diskonter zum hochwertigen Sportartikelfachmarkt befindet. Dazu gehört neben einem überarbeiteten Ladendesign und der Zentrierung auf die vier Bastionen Outdoor, Laufen, Fahrrad und Alpinsport nämlich vor allem die Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse durch ein exzellentes Omni­channel-Angebot. „So wollen wir zum führenden Sportartikelhändler in allen Ländern, in denen Hervis präsent ist, werden“, schilderte Seda. Künftig müsse es beispielsweise möglich sein, sich ein Sportgerät in einer Filiale in Wien auszuborgen und an einem Standort in Kroatien zurückzugeben. „Daran arbeiten wir.“ Zudem wolle man den Kunden mit einem strafferen Sortiment die Orientierung erleichtern. „Das erreicht man mit 680 Skihandschuhmodellen, die wir zuletzt angeboten haben, nicht“, gab sich der CEO selbstkritisch.

Aus Mjam wurde Foodora

Transformation ist auch das Thema bei Foodora, wie Herbert Haas, Geschäftsführer des Essens­liefer­diens­tes erzählte. Noch bis Mai ist man unter der Marke Mjam aufgetreten, habe sich aber zu einem Rebranding entschieden. Grund dafür war sowohl die Vereinheitlichung der unterschiedlichen Marken, mit denen der Mutterkonzern Delivery Hero in acht verschiedenen Ländern präsent war, als auch der Wunsch nach einem emotionaleren Auftritt. „Wir liefern in 29 Minuten mehr als 22.000 Bestellungen pro Tag aus, beschäftigen über 2.600 Rider und betreiben acht eigene Foodora-Märkte“, so Haas. Bestellt werden können nicht nur fertige Speisen, sondern auch Lebensmittel, Apothekenprodukte oder Blumen. Tätig sei man im Geschäftsfeld Quick Commerce, das Haas nicht als Bedrohung für den stationären oder Onlinehandel sieht, sondern als Ergänzung überall dort, wo rasch eine Problemlösung gefordert ist. Zudem wolle man aufgrund der Bestellmöglichkeit bei lokalen Anbietern dazu beitragen, dass künftig nicht mehr 54 Prozent der Onlinehandelsumsätze ins Ausland wandern.

Neue Wege in der Expansion

Einen neuen Ansatz zum Thema Expansion präsentierte Martina Dutzler, Mitglied der Geschäftsführung beim Tiroler Lebensmittelhändler MPreis: „Wir glauben, dass die klassische Expansion, bei der lediglich der Ausbau von Umsatz- und Marktanteilen im ­Fokus steht, nicht die klügste Art zu expandieren ist.“ MPreis wolle künftig auf Bestehendem aufbauen und seine Begehrtheit so steigern, dass die Nachfrage für weitere Standorte direkt aus dem Markt heraus generiert werde. Zudem plane man hinsichtlich selbstorganisierter Teams einen Testlauf ­einer Filiale ohne Filialleiter. „Wir wollen künftig auf mehr Eigenverantwortung setzen und das Verbindende in den Mittelpunkt stellen“, so Dutzler.

Filialen werden grün

Im Mittelpunkt bei Rewe International steht für das Erreichen der Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 unter anderem der Ausbau grüner Märkte. Stefan Pany, Direktor Technische Abteilung, skizzierte anhand konkreter Standortbeispiele die Umsetzung ökologischer Maßnahmen rund um PV-Anlagen auf Dächern, Fassaden und Carports (123 Anlagen sind bereits bei Billa, Billa Plus, Penny und Bipa in Betrieb), E-Ladestationen, Fassadenbegrünungen, Blühwiesen mit Insektenhotels, Schattenbäumen am Parkplatz und vielem mehr. „CO2-Kälteanlagen, LED-Beleuchtung und 100 Prozent Grünstrom aus Österreich sind ohnehin längst Standard“, so Pany. Zudem setze man auf den Einsatz von Energiespeichern, um generierte Überschussenergie nach Bedarf verwenden zu können. In Altenmarkt an der Triesting, der ersten IoT-Testfiliale, ist zudem ein Monitoringsystem im Einsatz, um einen ressourcenschonenden Filialbetrieb (z. B. Stromverbrauchsoptimierung, intelligenter Backshop etc.) zu ermöglichen. Seit 2012 konnte Rewe den Stromverbrauch pro Quadratmeter Verkaufsfläche in Österreich um 20 Prozent reduzieren.

Kein Passwortchaos mehr

Harald Flatscher, Geschäftsführer von PSA Payment Services Austria, dem Kompetenzzentrum für bargeldloses Zahlen in Österreich und im Besitz der österreichischen Banken, stellte eine neue App vor, die das Ende der Passwörter verspricht. „Der durchschnittliche Österreicher ist bei 20 bis 25 Web­shops angemeldet. 68 Prozent haben den Kaufprozess schon einmal ­abgebrochen, weil ihnen die Registrierung zu mühsam ist“, so Flatscher. Mit der neuen ich.app müsse man nicht mehr bei jedem Shop ein eigenes Kundenkonto mit seinen Daten anlegen, diese würden zentral verwaltet und erst nach Rückfrage und Bestätigung durch den Kunden an den Händler weitergegeben. Künftig gebe es dann nur mehr einen einzigen Log-in für viele Services in unterschiedlichen Branchen. Die Händler wiederum profitieren von verifizierten Kundendaten, weil die Identität des Bestellers von den österreichischen Banken bestätigt wird. Nach dem Down­load der App, die Mitte Juni an den Start gehen soll, muss man sich einmalig mithilfe des Onlinebankings „ausweisen“ und kann dann die App sofort nutzen. Anwendungsfälle im Alltag sind beispielsweise Versicherungsabschlüsse, E-­Paper-Bestellungen, Click & Collect oder auch Befund-Abrufe.


Die MMM-Fachtagung

Seit 1985 veranstaltet GEWINN-Herausgeber Georg Wailand und Präsident des MMM Clubs Österreich die MMM-Fachtagungen, die sich als gemeinnützige, unabhängige Plattform für aktuelles Wissen aus der Handelsszene für Markenartikler und die passende Industrie etabliert haben. MMM steht dabei für Moderne Markt-Methoden. Die nächste MMM- Fachtagung findet am 7. November 2023 statt.