Wohngefühl unter Laborbedingungen

Drei Millionen Euro investierte Baumit Wopfinger in den „Wohnfühl-Forschungspark“. Die aktuell zehn Häuser (unterschiedlich gebaut) sind mit 33 Sensoren ausgerüstet (Foto: Baumit/Jana Madzigon/artista.at)
Im gerade mal 429 Einwohner zählenden Wopfing im niederösterreichischen Bezirk Wiener Neustadt Land stehen zehn kleine Häuser – alle drei mal vier Meter groß, mit einem südseitigen Fenster, einer ostseitigen Tür und einem Flachdach ausgestattet. Zwei weitere werden gerade gebaut. Auf den ersten Blick wirken alle gleich. Ein Eindruck, der sich auch beim Betreten der Häuser nicht ändert: Weiße, kahle Wände und keine Bewohner, die hier anzutreffen wären. Dafür fallen einem jede Menge Sensoren auf.
Tatsächlich ist aber jedes Haus anders gebaut – aus Beton, Ziegel, Holz-blockstämmen, Holzständerwänden, mit oder ohne Dämmung und mit unterschiedlichen Innenputzen. Und wie sich das im Inneren auswirkt, zeichnen die 33 Sensoren auf. Und zwar nach wissenschaftlichen Kriterien. Denn Menschen reagieren subjektiv, wie sich beim Lokalaugenschein feststellen lässt. Dem einen ist es fast zu warm, dem andern etwas zu kühl. Einig sind sich die Besucher meistens nur beim Geruch.
Dabei sind die Ausgangsbedingungen innen exakt gleich. Eine eigens installierte Luftaustauschanlage sorgt dafür ebenso wie eine Maschine, die Wasserdampf erzeugt und dazu dient, Duschen, Baden und Kochen für einen Vier-Personen-Haushalt zu simulieren.
Forschen für neue Produkte
Drei Millionen Euro wurden in den Wohnfühl-Forschungspark von Baumit Wopfinger (siehe Kasten) investiert, um zu untersuchen, wie sich unterschiedliche Baustoffe auf eine Reihe von Faktoren auswirken: Einfluss auf Allergien, Müdigkeit, Stress, Wohnzufriedenheit oder Schlafqualität ebenso wie Luftfeuchte, Akustik oder Gerüche. „Ziel unseres Forschungsparks ist eine wissenschaftlich fundierte Studie über die Wechselwirkung und Auswirkung von Baustoffen auf die Gesundheit. Einzigartig dabei ist, dass wir die Messungen unter kontrollierten und vergleichbaren Bedingungen an echten standardisierten Wohnobjekten durchführen“, erklärt Jürgen Lorenz, Forschungsleiter bei Baumit Wopfinger.
Die Ergebnisse des Forschungsprojektes dienen als Grundlage für zukünftige Produktentwicklungen. So soll geklärt werden, welche Produkte und Baustoffsysteme welchen Vorteil haben und wie hoch ihre tatsächlichen Kosten sind. Lorenz: „Wir erwarten uns aus den Forschungsergebnissen Inputs für Produktneuentwicklungen im Bereich Wand, Boden, Decke und Innenbeschichtungen.“ Aus diesem Grund habe das Unternehmen auch so viel Geld in die Hand genommen. 25 Prozent der investierten drei Millionen kommen zwar als Förderung von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), der Rest jedoch aus der Firmenkasse. „Wir setzen hier ein Zeichen für Innovation und Glaubwürdigkeit“, so Lorenz.
Teamwork mit Profis
Wichtiger Partner ist die FH Burgenland am Standort Pinkafeld, die sich seit Langem mit dem Thema Gebäudetechnik beschäftigt und als Spezialist für Gebäude- und Anlagensimulation gilt. Sie zeichnete in Wopfing für die Auswahl der Sensorik ebenso verantwortlich wie für die Implementierung des Messsystems, die Vorgabe der Messstellen und deren Kalibrierung sowie für die Konzeption des Auswertungsprogramms.
Ebenfalls mit an Bord sind das Institut für Baubiologie und Bauökologie (IBO), das sich dem Thema Emissionen von Baustoffen widmet, und die MedUni Wien, die die wesentlichen Einflussfaktoren der einzelnen Baustoffe auf das menschliche Wohlbefinden hier untersucht. Pro Jahr werden über 1,5 Millionen Daten zur Auswertung gewonnen.
Offizieller Start für die Messungen war im Februar 2015, die Vorbereitungen für das Projekt, das von einem zehnköpfigen Forscherteam betreut wird, starteten bereits im März 2014. Bis Ende 2016 sollen die Messungen in den Forschungshäusern noch laufen, mit der Möglichkeit zur Verlängerung.
Fundament für Argumente
Neben Erkenntnissen für die eigene Produktpalette erhofft sich Lorenz aber auch fundierte Argumente. Etwa gegenüber Bauherren und dem Thema Dämmung. Schon jetzt haben die Baumit-Forscher herausgefunden, dass sich durch eine Dämmung der Häuser bis zu 50 Prozent an Heizkosten einsparen lassen. Lorenz: „Alle unsere Meßhäuser haben denselben U-Wert und damit dieselben energetischen Ausgangsvoraussetzungen. Damit bekommen wir erstmals wissenschaftlich vergleichbare Ergebnisse zwischen gedämmten und ungedämmten Häusern – das ist einzigartig.“ Dämmung fungiert aber auch als Schutzschild gegen sommerliche Überhitzung. „Eine Dämmschicht ist wie eine Thermoskanne, die Kaltes kühl und Heißes warm hält“, zeichnet Lorenz einen anschaulichen Vergleich.
Neben der Dämmung hat die Speichermasse der Wandkonstruktion einen großen Einfluss auf die Heiz- bzw. Kühlkosten. Massive, schwere Wände puffern die Sonnenwärme und geben sie erst während der kühleren Tage wieder ab. Dieser Effekt sorgt für konstantere Innenraumtemperaturen und im Sommer für ein generell kühleres und angenehmeres Innenraumklima.
Damit die gewonnenen Erkenntnisse in die Tat umgesetzt werden können – sei es bei Neubauten oder Sanierungen –, bedarf es aber nicht nur informierter Kunden, sondern auch informierter Baumeister und Planer. „Hier ist die Bewusstseinsbildung sicher auch unsere Aufgabe“, weiß Lorenz.