„Förderungen bringen keine Energiewende“

Silvia Kreibiehl, Leiterin der Frankfurt School of Finance & Management: „Wenn wir die Energiewende nicht schaffen, müssen wir mit vier Grad Erderwärmung leben. Das ist für uns alle zu heiß.“ (Foto: Michael Hetzmannseder)
GEWINN: Ihr jüngster Klimabericht macht Hoffnung. Die weltweiten Investitionen in erneuerbare Energien sind im Vorjahr auf ein neues Rekordhoch von 286 US-Dollar gestiegen. Dann ist ja alles paletti.
Kreibiehl: Wie man’s nimmt. Positiv ist sicherlich, dass weltweit mehr als doppelt so viel in erneuerbare Energien gesteckt wurde wie in konventionelle Kohle- und Gaskraftwerke.
GEWINN: Und die schlechte Nachricht?
Kreibiehl: Europa fällt massiv zurück. 2015 wurde um 20 Prozent weniger in erneuerbare Energien investiert. Das ist der niedrigste Wert seit 2006.
GEWINN: Ist Ökoenergie bei uns kein Thema mehr? Sind die Märkte gesättigt oder ist Europa durch die Finanz- und Flüchtlingskrise das Geld ausgegangen?
Kreibiehl: Es ist von allem etwas. Vor allem aber sind die Investoren verunsichert, weil es keinen europäischen Masterplan für die europäische Energiewende gibt. Aber gerade stabile politische und regulatorische Rahmenbedingungen sind wichtig, da Europas Strommärkte sehr stark davon abhängen. In Deutschland, Europas zweitgrößtem Markt für erneuerbare Energien, ist die Verunsicherung besonders hoch. Daher wurden im Vorjahr nur 8,5 Milliarden Euro in Ökoenergie investiert, das ist ein Rückgang um 47 Prozent und die geringste Summe seit zwölf Jahren. Sogar Indien investierte da erstmals mehr! In Frankreich gingen die Investitionen um 62 Prozent, in den Niederlanden gar um 82 Prozent zurück.
GEWINN: Österreich ist ökologisch gut aufgestellt. Es hat Hydroenergie durch die Donau, Speicherkapazitäten in Westösterreich, Solar- und Windenergieproduktionen. In Deutschland werden 30 Prozent, in Österreich rund 70 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien produziert.
Kreibiehl: Das bringt wenig, wenn man dafür Atom- und Kohlekraftstrom günstig importiert. Wir brauchen ein gesamteuropäisches Konzept, vor allem brauchen wir den weltweiten Ausstieg aus Kohlekraftwerken.
GEWINN: Den gibt es allerdings nicht zum Nulltarif.
Kreibiehl: Natürlich ist er teuer und es hängen viele Arbeitsplätze dran. Das Energiewissenschaftliche Institut in Köln schätzt allein in Deutschland die Mehrkosten durch den Kohleausstieg auf 72 Milliarden Euro für 2020 bis 2045. Rund die Hälfte der Kosten trägt der Verbraucher. Für das in Paris vereinbarte Klimaziel (Red., Erderwärmung bis 2050 maximal 1,5 Prozent) reicht es aber nicht, wenn Deutschland aus der Kohlekraft aussteigt. Wussten Sie, dass 90 Prozent der krebsfördernden Quecksilberemissionen aus der Kohlekraftproduktion stammen? Dass man 50 deutsche Kohlekraftwerke schließen müsste, wenn die strengen amerikanischen Emissionsregeln gelten würden?
GEWINN: Was tun? Ökostrom weiter fördern?
Kreibiehl: Das würde ich für Europa nicht unterschreiben. Wir haben schon genug Strom, da sollte man nicht noch mehr Angebot durch Förderungen schaffen. 2011 hat in Deutschland die großzügige Förderung von Solarparks den Strommarkt stark durcheinandergebracht. Zahlen mussten es die Verbraucher mit hohen Strompreisen. Erneuerbare Energien sind wettbewerbsfähiger geworden. Förderungen sind nicht mehr nötig. Es wäre ausreichend, wenn man die fossilen Brennstoffe mit den externen Kosten bestraft, die sie verursachen, statt damit die Allgemeinheit zu belasten. Atomkraft ist ohnedies ein Auslaufmodell, auch ökonomisch uninteressant.
GEWINN: Wie sollte man Umweltsünder bestrafen? Es gibt in der EU doch schon den Emissionshandel mit CO2-Zertifikaten.
Kreibiehl: Da durch die Finanzkrise die Industrieproduktion und der Ausstoß stark zurückgegangen sind, sind zu viele Zertifikate auf dem Markt. Der Preis wird sich erst 2025 normalisieren. Ich finde, der Obama-Vorschlag, der sich in den USA politisch nicht durchsetzen ließ, hätte für Europa Charme: eine Sockelsteuer für nicht erneuerbare Energien, die Jahr für Jahr angehoben wird. So haben die Kohlekraftwerkbetreiber kalkulierbare Kosten. Noch kommt die Hälfte des deutschen Stroms aus Kohlekraft. Eine Umstellung dauert lange. Rund die Hälfte aller weltweiten Kohlekraftwerke ist jünger als 23 Jahre. Und bei einer Funktionsdauer von 40 Jahren sind sie also noch 17 Jahre oder länger in Betrieb.
GEWINN: Sie arbeiteten über 17 Jahre für die Deutsche Bank. Was macht erneuerbare Energien für Investoren attraktiv?
Kreibiehl: Was ist generell eine reizvolle Geldanlage? Eine, die bei möglichst wenig Risiko maximale Rendite bietet. Bei RWE und E.ON haben sich die Anleger hingegen reihenweise verabschiedet, weil das Risiko gestiegen und die Rendite gesunken ist.
GEWINN: Finger weg von den deutschen Energieversorgern?
Kreibiehl: Es lässt sich dort das Risiko kaum abschätzen. Man weiß nicht, ob die Rückstellungen für Atom- und Kohlekraftwerke ausreichen, ob man Kohlekraft – ähnlich wie eine Bad Bank – ausgliedert, weil sie bei halbiertem Strompreis und höheren Entsorgungskosten keine Gewinne abwerfen. Dann würden aber die Steuerzahler wieder für die Kosten aufkommen. Ich bin natürlich auch nicht dafür, die größten deutschen Energieversorger zu schwächen. Schocks sollte man bei der Energiewende grundsätzlich vermeiden. Institutionelle Investoren gehen allerdings vermehrt aus diesen sogenannten „Stranded Assets“ raus. Die Allianz Versicherung beispielsweise investiert nicht mehr in neue Kohlekraftwerke.
GEWINN: Welche grünen Investments könnten Sie empfehlen?
Kreibiehl: Um die Strommärkte auf erneuerbare Energien umzubauen, wird man vermehrt in Speichermedien investieren müssen und auch in den Ausbau des Stromnetzes. Immer mehr Kleinanleger wollen ihr Geld vernünftig investiert sehen. Das zeigt der Crowdfunding-Boom. Man will seine Ersparnisse nicht mehr einer Bank überlassen, ohne dass man weiß, was damit geschieht. Das finde ich positiv. Man müsste nur den Anlegerschutz etwas besser im Auge behalten, wobei Investoren auch eine gewisse Eigenverantwortung haben. Sie sollten erkennen, dass Renditeversprechungen von 15 Prozent derzeit nicht seriös sind oder dass Solaraktien mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen von 18 überteuert sind.