Framing-Effekt: Der Rahmen bestimmt Ihre Wahrnehmung

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Ich gebe Ihnen nun ein Rätsel auf. Ich beschreibe gleich eine Sache, die Sie erraten sollen. Los geht’s: Eine Zeitung ist besser als ein Magazin. Ein Meeresufer ist ein besserer Ort als eine Straße. Am Anfang ist es besser zu laufen, als zu gehen. Selbst kleine Kinder können Spaß daran haben. Vögel kommen selten zu nahe. Ein Fels kann als Anker dienen.
Sie verstehen nur Bahnhof? Ich verrate Ihnen die Lösung: es ging soeben ums Drachensteigen. Na, wird Ihnen plötzlich klar, dass alle Hinweise Sinn machen?
Dieses Beispiel zeigt: Ohne den Kontext können wir Inhalte meist nicht verstehen. In unserer Sprache beziehen wir uns ständig auf einen Rahmen oder Kontext. Ein Bezugsrahmen ist notwendig. Es kann aber auch fatal sein – wenn es der falsche Rahmen ist.
Framing-Effekt
Die Psychologie nennt den kognitiven Vorgang, Sachverhalte in einen Bezugsrahmen zu setzen, „Framing“. Jeder Mensch hat so seine individuellen Erfahrungen, Gewohnheiten, Denkweisen und Filter, die seinen jeweiligen Frame beeinflussen. Menschen mit unterschiedlichen Frames tendieren dazu, einander misszuverstehen.
Halbvolle Gläser, Vasen, süße Früchte
Wenn der Wetterexperte von 20-prozentiger Regenwahrscheinlichkeit spricht, sagen wir den Ausflug ab – im Gegensatz zur Prognose „zu 80 Prozent trockenes Wetter“ –, auch wenn beides dasselbe bedeutet. Wir können das Glas halbvoll oder halbleer sehen. So wie wir in dem bekannten Beispiel eines Kippbildes eine Vase sehen können oder zwei Gesichter, die einander anblicken (siehe Bild unten). Es ist alles eine Frage unseres eigennen„Frames“.
Auch die Werbepsychologie bedient sich des „Framing-Effekts“: ein Bild von sonnengereiften, frisch gepflückten Orangen suggeriert Frische und Süße, auch wenn der Orangensaft schon vor Monaten ins Tetrapak abgefüllt wurde.
Hohes Risiko und hohe erwartete Rendite
Ähnliches passiert in der Finanzwelt. Uns werden „High Yield Bonds“ angepriesen, Hochzinsanleihen mit einer hohen erwarteten Rendite. Andererseits werden wir vor „Junk Bonds“, Ramschanleihen, aufgrund des hohen Risikos gewarnt. Wofür würden Sie sich eher entscheiden? Wohl für Ersteres, oder? Es sind jedoch zwei Begriffe für dieselbe Sache, da ja auf dem Finanzmarkt hohes Risiko auch mit einer hohen erwarteten Rendite belohnt wird. Nur: Während der Begriff „Junk Bond“ auf das hohe Risiko der Anleihe fokussiert, bezieht sich „High Yield Bond“ auf die hohe erwartete Rendite.
Meine Anlageberaterin riet mir vor ein paar Jahren zum Verkauf meiner Healthcare-Fonds-Anteile. Der Preisanstieg in den Jahren davor hätte mir einen stattlichen Kursgewinn eingebracht, den ich nun realisieren sollte. Ich fragte sie, ob sie mir auch zum Verkauf raten würde, wenn sie meinen damaligen Einstiegskurs nicht kennen würde. Sie meinte: nein. Ich müsse nicht verkaufen, das Investment sei stabil, es seien in Zukunft noch höhere Gewinne zu erwarten. Mit meiner Frage hatte ich die Technik des „Reframings“ angewendet, weg vom Bezugsrahmen „Einstiegskurs“ – und die Beraterin hatte von „Verkaufen“ auf „Behalten“ umgeschwenkt. Interessant.
Tipps
Das zeigt also: Wir müssen uns bei allen Entscheidungen des jeweiligen Kontextes bewusst sein, in dem diese Entscheidung getroffen wird. Um tatsächlich eine rational tragfähige, möglichst objektive Entscheidung treffen zu können, müssen wir verschiedene Frames in unsere Entscheidung einbeziehen.
Für Anleger bedeutet das: Blicken Sie hinter den Rahmen! „Reframen“ Sie! Ein High Yield Bond etwa bedeutet nicht nur eine hohe erwartete Rendite, sondern auch ein hohes Risiko. Würden Sie dieselbe Anleihe auch unter der Bezeichnung „High Risk Bond“ kaufen? Verändern Sie den Referenzpunkt Ihres Handelns: Was bedeutet der Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers unter einem anderen Blickwinkel? Rechnen Sie die Renditen von Wertpapieren in fremder Währung in Renditen in Euro um! Rechnen Sie nominelle Renditen in Renditen nach Abzug der Inflationsrate um! Hinterfragen Sie Ihr eigenes Framing und das Ihres Gegenübers – etwa Ihres Anlageberaters. Dann können Sie Ihre Entscheidungen möglichst objektiv treffen.